„Warum versteht mich denn keiner“ wird sich so mancher der rund 9200 Besucher des 30C3 in Hamburg wohl im ganzen Jahr 2013 fast durchgehend gedacht haben. Doch in Hamburg auf dem 30C3 ist das anders. Der 30C3 ist schlicht „das Happening“. Der CCC setzte vom 27.12.2013 bis zum 30.12.2013 der Version 29 vom Vorjahr noch eins oben drauf und vergrößerte gleich noch einmal um gut 1/3 der Fläche. Das war lt. Orga wohl auch bitter nötig, denn das deutliche Mehr an Publikum war erwartet. Viele wissen noch, wie „kuschelig“ es in Berlin in den letzten Jahren zugegangen ist.
Was will ich eigentlich hier, in Hamburg, mitten zwischen meinesgleichen? Ich habe mir zwei Ziele gesetzt. Erst einmal will ich wissen, welche Cryptotechnologie noch „sicher“ ist und ich will wissen, welche ich definitiv nicht mehr verwenden sollte. Auch will ich wissen, wie ich SSL auf dem IIS dichtmache und wo TLS seine generellen Schwachstellen hat. Da gibt es meinerseits viel Nachholbedarf. Und dann habe ich ja immer noch ein Softwareprodukt dabei, was ich amtlich auseinander nehmen lassen will. Dazu habe ich mir einen Fahrplan gemacht, den ich jedoch schon nach einer Stunde Anwesenheit auf dem Kongress in großen Teilen wieder über den Haufen schmeißen kann.
Du bleibst nicht einmal 2-3 Minuten alleine. Kaum, dass Du Dich fragend umschaust, bist Du mitten in ein Gespräch vertieft mit 2-3 anderen Geeks, die ähnlich ticken wie Du. Jeder respektiert Dich, so wie Du jeden respektierst. Es gibt keine abfälligen Bemerkungen über Betriebssysteme. Es gibt Lösungsansätze und wenn Du eine Frage stellst, welche nicht sofort durchleuchtet werden kann, heißt es – „warte, dass ist spannend, lass uns XY dazu holen, der kennt das“ und schon wird die Runde größer.
Das Problem bei dieser komprimierten Form von Gesprächen ist, dass Du entweder abends noch einmal die Routine oder den Ansatz aufschreiben musst oder die Gesprächspartner im IRC oder auf Jabber suchen musst. Ansonsten ist die Information oder Dein Gesprächspartner recht schnell wieder verloren, denn das Gelände ist riesig, man verliert sich zu schnell aus den Augen. Problematisch ist das bei internationalen Besuchern, die Du keinem Hackspace zuordnen kannst. Twitter kann in manchen Fällen helfen, auch wenn Social Media bei vielen eher nicht so beliebt ist.
Tim Pritlove appelliert an das Gewissen
Aber es tut verdammt gut. Du begreifst spätestens hier wirklich die Bedeutung von TOR und OTR. Du hast endlich Menschen um Dich herum, mit denen Du auf Augenhöhe sprechen kannst. Ohne Voreingenommenheit, ohne Vorurteile. Schüchternheit, nerdhafte Menschenscheu – sofern Du sie hast – sind innerhalb von 30 Minuten verflogen. Du willst mit Prof. Rüdiger Weis über AES sprechen? Kein Problem, er hat Zeit für Dich. Du willst mit „jemand“ über komisch gesprochenes UDP sprechen? Kein Problem, Du triffst ihn am Clubmate-Stand. Du willst Linus einfach mal die Hand schütteln? Kein Problem, mach’s einfach. Jemand spricht Dich an mit „Du, bist Du XY? Kann ich Dich mal knuddeln?“, Du wirst geknuddelt.
Überhaupt ist es so, dass das Networking mich öfters daran hindert, rechtzeitig zu den Vorträgen zu kommen. Du schaffst es schlicht nicht rechtzeitig, weil das Gesprächsthema viel zu spannend ist und die Person, mit der Du quatscht, einfach zu nett ist. Immerhin, die für mich wichtigen Beiträge habe ich alle irgendwie live erlebt. Und auch ein wenig Beiwerk, die „30C3-Must-haves“ z.B. waren auch dabei. Im Nachgang versuche ich mal, die wichtigsten Themen beisammen zu packen. Es gibt einige Vorträge auch auf Youtube und beim CCC zum Download, die Du Dir auch ansehen solltest.
Gelände
Das weitläufige Areal des CCH ist von Menschen „geflutet“. Aber es ist anders, als in Berlin. Zum einen gibt es Teppich, es ist angenehm warm, und die Menschen stapeln sich nicht. Überall ist Platz. Direkt am Eingang findest Du „Engel“, welche Dir helfen, wenn Du das erste Mal auf so einem Kongress bist. Überhaupt ist immer ist jemand da, den Du fragen kannst. Am ersten Tag habe ich mich tatsächlich mehrfach verlaufen, schwierig zu finden waren insbesondere die kleineren Vortragsräume. Du fragst nach einer Raumnummer und als Antwort kommt „Ach, der Vortrag von XY, ja der läuft schon – Du musst ja, genau da hin, aber flink!“
Es gibt mehrere Vortragsräume, auf mehreren Ebenen. Alle sind im CCH überdacht zu erreichen. Alle haben unterschiedliche Größen, sind sehr luxuriös ausgestattet. Von überall hast Du gute Sicht auf den Vortragenden und auf die Folien. Die Beamerfläche ist überdimensional, wahnsinnig groß. Die Akustik ist super. So hätte ich mir das in der Uni öfters gewünscht. Alle Vorträge werden perfekt angesagt. Dennoch musste auch in den größeren Sälen ab und zu mal auf Fluchtwegefreiheit geachtet werden, wenn es mal voller wurde „defragmentiert mal!“.
Es gibt Platz für die vielen Hackspaces, einen regelrecht schummrige Ecke für die lokalen Aktivitäten, Räume für Workshops, sowieso immer genügend Platz und auch immer eine Steckdose und auch die Hackspaces hatten ihre Präsenz – wunderbar! Überall werden kreative Ideen geboten, viele NGO’s stellen aus, u.a. auch alle von mir unterstützten Vereine: Die EFF, tacticaltech, digitalcourage (ehm. FoeBuD e.V.), die WAU Holland Stiftung und viele mehr. Die vielen, kreativen „Appliances“ sind süß. Du kannst Dich über alles informieren, das geht vom Drohnenflug über Virtual Reality bis hin zu altertümlichen Fernsprechgeräten. Das klassische Lockpicking ist wieder da und ich müsste wahrscheinlich eine Seite vollschreiben, um wirklich alles zu nennen, auch wenn ich nur einen Bruchteil gesehen habe. Begeistert hat mich die Seidenstraße, ein Rohrpost System und Tim Pritloves eindrucksvolle Umsetzung der LivePodcast Ecke „Podlove“, in der es allabendlich mit guten Gesprächen und Publikum rund um den 30C3 ging.
Ein Geschenk für mich war dieses Jahr die außerordentlich beeindruckende „“Lounge““. Wer zum Geier nochmal kommt auf die absolut göttliche Idee, einen Club mitten auf dem 30C3 zu bauen und dort so abartig gute Musik laufen zu lassen? Das war der Hammer! Das Ding hab’ ich leider viel zu spät entdeckt und ich war – zugegeben – meist viel zu müde, um die ganze Nacht noch in diesem wunderschönen Ding zu verbringen. Ich wünschte mir manchmal, ich wäre noch ein Stückchen jünger.
Prof. Rüdiger Weis erklärt, warum Microsoft’s UEFI Boot oder RC4 doof ist
Infrastruktur
Wer einmal ein CampusWiFi aufgebaut hat, kann sich in etwa vorstellen, wie schwer es ist, eine Horde von 9000 Besuchern zu beglücken. Auf jeder Messe geht mir regelmäßig das überteuerte WiFi so dermaßen auf den Zünder, dass ich mir eigentlich die Buchung schon sparen kann, aber hier? Überall auf dem Gelände ist WiFi da. Mit Roaming. Das „NOC“ sprach zwar von anfänglichen Problemen, doch davon habe ich wirklich nix mitbekommen. Wann immer ich wollte hatte ich mich einbuchen können und fantastische, stabile Bitraten. WTF? Wie zum Geier ist das möglich? Wie kann man so viele Menschen mit so guter IT versorgen? Krass! Nebenbei gab es ein DECT-Netz mit unterschiedlichen Funktionen, z.B. Synchronübersetzungen aus den englischsprachigen Vorträgen und eine Hotline. Ebenso ein GSM Netz. Die Toiletten waren stets sauber und nicht überfüllt. Bis zum zweiten Abend „gab“ es ClubMate für faire „Zwofuffzich“. Der von wirklich allen erwartete Engpass („Mategate“) wurde mit einem Truck aus Bremen in den Nachtstunden zum 3. Messetag gelöst. Ich glaube, nicht nur ich mag Clubmate viel lieber, als ´ne Flora. Ich bin einfach nur platt, wie gut das wirklich ging, und das ohne Sponsoren, wie z.B. bei der OHM. Verärgert war ich über die überteuerte, lauwarme, halbgare Pizza. Das einzig wirklich vernünftige, essbare zum annehmbaren Kurs waren pappige Sandwiches.
Bemerkenswertes
In meinem Hotel waren eigentlich alle Gäste für den 30C3 gebucht. So kam es, dass wir direkt am Abend schon auf den nervigen ÖPNV verzichteten, und uns beim Hinfahren abgewechselt haben. So konnten wir auch noch bei Jim Block etwas bessere Nahrung akquirieren. Dennoch, ein Parkticket für EUR14,- ist doch schon recht happig. Es geht woanders einfach nicht. Die Einmannsecurity hatte wohl nicht viel zu tun, höchstens bei den Beschwerden über Firmen, welche versucht hatten, anzuwerben. Doch wie sich später herausstellte, waren das gestellte Schauspieler. Es ist wohl kein sicherer Ort in Ganz Hamburg zu finden, wie das CCH um diese Jahreszeit. Nirgends sonst kann man seelenruhig sein Mobiltelefon oder sein Notebook mal eben zum Aufladen hinstellen oder abgeben. Hast Du keinen Adapter, hat jemand einen Adapter. Für alles findet sich eine Lösung. Ein wenig enttäuscht aber war ich schon, als ich in Saal G zu Linus Vortrag „Bullshit made in Germany“ nicht mehr hineinngekommen bin, wegen zu vielen Besuchern. Doch aus diesem Zustand wurde kurzerhand ein fröhliches Sit In auf dem Teppich mit 3 anderen um mein Notebook: Livestreaming auf einem 11“ MacBook macht’s gleich noch kuscheliger.
Aussage
Gleich zu Beginn wurde mir wieder bewusst, warum ich eigentlich hier bin. Tim Pritlove zelebrierte das Opening. Die Videoshow war eindeutig, Orwell allgegenwärtig. Und die Ansprache glich der einer Trauerfeier. Das Gefühl, der Lage nicht mehr Herr zu sein überschattete den Kongress rundum bis zu (meinem persönlichen) Abschluss durch Jacob Applebaum, der einmal mehr neue Dinge an die Luft setzte (Zeitgleich zum Erscheinen des aktuellen Spiegel), die einen fast sprachlos machen. Überall sind sie drin, die bewusst gewollten Schwachstellen, die schlechten Algorithmen, die schlechte Crypto, dass einem schlecht werden könnte. Nur dieses besondere Umfeld lässt einen das noch gut aufnehmen. Hätte ich zuhause vor dem Rechner gesessen und im IRC nachgelesen, hätte ich mir wahrscheinlich bei den letzten Meldungen einen Long Island nach dem anderen reingepfiffen.
30C3 Opening Event mit Tim Pritlove
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Natürlich waren sie da, die guten Themen zur Crypto, einen hebe ich gleich noch hervor. Mittendrin eine Keynote von jemanden, den wir alle viel lieber sehen als einen Assange: Greenwald. Der war nicht nur bemüht, der sprach fast befreit, auch wenn wir alle im Saal fast seekrank von der wackeligen Kamera geworden sind. Doch immer wieder wird einem auch mulmig, wenn man die politischen Zusammenhänge sprichwörtlich auf die Nase gebunden bekommt. Und so war es dann auch, deutlich politischer als jemals zuvor.
Bemerkenswerte Vorträge
Vorneweg: Klar fehlte auch bei mir keiner der „die musst Du unbedingt sehen“ Vorträge, z.B. der Jahresrückblick oder die FNORD-News Show. Ich war allerdings auch absolut begeistert von Professor Weis Hinweisen zur Cryptologie, Workshops zu Angriffstechniken, auch viel Hintergrundwissen zur aktuellen Lage wurde geliefert, teils wirklich viel politisches, so dass einem fast die Sprache wegbleibt, wenn man hört, wie eng verzahnt auch die US-Lobby (CSC, Bearing Point) mit unseren Diensten ist. Es wäre müßig, wirklich alles aufzulisten, Auf Youtube oder beim CCC kannst Du Dir selbst einen Überblick verschaffen. Um es Dir leicht zu machen, will ich Dir dennoch einen ganz kleinen Teil der Vorträge auflisten, der für Dich möglicherweise richtig sehenswert ist:
Bullshit made in Germany
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Zwischen sicherer Verschlüsselung und Klartext liegt nur ein falsches Bit
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Kryptografie nach Snowden
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Keine Anhaltspunkte für eine flächendeckende Überwachung
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Die Bundesrepublik – Das am meisten überwachte Land in Europa
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Der Kampf um Netzneutralität – Wer kontrolliert das Netz?
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The year in Crypto
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No neutral ground in a burning world
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Through a PRISM, darkly – Everything we know about NSA spying
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The TOR network
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To protect and infect II
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CCC: CCC Jahresrückblick 2013
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CCC: FNORD NEWS SHOW
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Weiterhin sind alle Vorträge auch auf media.ccc.de herzunterzuladen. Schaut Euch’s an. Vielleicht bist auch Du mal da, Ende 2014.
Was bleibt? Eigentlich nur ein Danke an den CCC. Dafür, dass es ihn gibt. Danke an die vielen, vielen außergewöhnlichen Helfer, die dieses abgefahrene Happening in dieser Form möglich gemacht haben.