Apple’s M1: In aller „Kürze“

Apple hat einen neuen Mac herausgebracht. Soweit nichts besonderes. Was aber besonders ist, ist der völlig neue M1-SOC in diesem Hobel. Und der hat es in sich.

tl;dr: Mit Verlaub: Das Ding ist ’ne Drecksau mit Sonnenbrille wahnsinnig schnell.

Es gab sie ja schon seit einiger Zeit, die Gerüchte um Apples neuen Chip. Die neue, auf ARM (Link) basierende CPU ist dabei nicht das einzige, was Apple da auf uns losgelassen hat. Viele hatten Sorgen, dass die Transition nicht sauber vonstatten gehen könne, der Gruppe von Menschen hatte ich mich angeschlossen. Als aber die ersten Youtube-Reviews über die neuen Macs kamen, hatte es dann auch bei mir nicht mehr lange gedauert.

In diesem Longread schildere ich ein paar Erfahrungen.

Update / 15.12.2020: Ich rücke nach gut 2 Wochen Nutzung keinen Meter von meiner ersten, völlig überraschten Meinung ab. Das Ding hat – in meinen Augen – keinerlei Schwächen. Im Gegenteil: Macs mit M1 sind denen mit x86 schon im Debüt meilenweit voraus.

SOC what?

Die üblicherweise getrennt im System anzutreffenden Elemente, wie Hauptspeicher, Prozessor, Festplatte/SSD, Interfaces, Grafikkern usw. sind jetzt allesamt auf einem, einzelnen Chip (SoC=System on a Chip) zu finden. Der ersichtliche Nachteil: Man kann nicht aufrüsten.

Die Vorteile überwiegen in meinen Augen, als da wären enorme Effizienz und Performance. Das Ding ist in 5nm gefertigt – auch ein Feature, von dem Intel seit Jahren höchstens träumen kann. Soviel zu den Parametern.

Im ersten M1-Wurf sollen 4 High-Performance Kerne und 4 energiesparsame Kerne aus den Wavern gestanzt werden.

Gefühlte „Fakten“ und Intel mit Big Sur

Für mich sind schon seit einiger Zeit weniger die klassischen Benchmarks relevant. Wichtig für mich sind z.B. eher die Zeitspannen, in jenen ich ein Video aus FinalCut exportiere oder wie viel Zeit ich für Filter einkalkulieren muss. Wie läuft Apple’s Logic oder Reaper. Schlussendlich ist aber auch wichtig, wie sich das System generell anfühlt: Wie klickt sich das. Wie funktioniert Safari, wie läuft die Fotos-App, gehen Vimeo, Youtube, Waipu, Prime, Netflix…

Das sind Dinge, die mit einem Intel-Mac nicht mehr so rund laufen. Man gewöhnt sich wohl dran. Alle 5-7 Jahre holt man sich eben einen neuen Mac und dann ist alles wieder (ein bisschen) gut.

Nun, jetzt ist alles anders.

Mir war klar, dass Apple erstmal nicht mehr viel Hirnschmalz in klassische Intel-Systeme investieren würde. Vielleicht wurde es auch deshalb problematisch, als mein bislang verwendetes MacBook (13, Pro, 2017, Rechtsuntenmodell) anfing, im Standardbetrieb mit Big Sur den Lüfter hörbar hochzudrehen.

Simple Finder-Aktionen, Mail und anderes gehen jetzt mit erheblicher CPU-Last einher. Der Betrieb an einem großen Bildschirm jenseits der 4K sind ein Kraftakt für das kleine MacBook, während es im klassischen Notebookbetrieb gerade noch ausreicht. Es ist alles nicht mehr so „snappy“. Ehrlich, die Kiste ist einfach langsam. Ich liebäugele schon mit einem Downgrade zu Catalina.

Skepsis

Dennoch siegte bis vor ein paar Tagen die Skepsis: Abwarten wollte ich. Besonders die Keynote hatte mich geärgert. Apple schaffte es tatsächlich, in Vergleichsdiagrammen zwar X/Y Achsen anzuführen, jedoch ohne Werte.

Da wurde in meinen Augen schlicht Luft präsentiert. Klar kannst Du Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Ich war mir auch sicher, es würde bestimmt einige Dinge geben, die das Ding nicht kann und eigentlich ist ein erster Wurf sonst immer versehen mit jeder Menge Bugs.

Als mein MacBook in einer BigBlueButton-Sitzung mit meinen Kollegen wieder überkochen wollte ist mir wohl der Kragen geplatzt.

Entsetzen beim simplen Vergleichstest:

Ein Mac Pro (Tönnchen 2013, 8-Zylinder, 32GB, 2xD700) reicht mit Catalina als Referenz. Wenn da FinalCut-Testvideos aus dem M1 in noch nichtmal der Hälfte der benötigten Zeit eines Mac Pro’s rauspurzeln, dann stimmt da irgendwas nicht in der Rechnung. Und schon gar nicht in meinem Portemonnaie. Und noch eins oben drauf: zur neuen Leistung kommt auch noch Effizienz.

In der Zeit eines FC-Exports will der M1 – mit allem Brimbamborium beladen – gerade mal lächerliche 18 Watt aus meiner Steckdose ziehen, während sich der Mac Pro mit seinen beiden D700 Grafikkarten gute, 270-420 Watt gönnt. Der M1 bleibt kalt, bläst da noch nichtmal mit seinem Lüfter, und der Mac Pro kann da schon nach 2 Minuten Arbeit den Philips Airfryer in der Küche neidisch machen.

Alleine diese Erfahrung reicht schon, welche eigentlich fast jede Pro- und Contra M1-Diskussion im Keim ersticken zu lassen. Die Effizienz dieses Kraftzwergs ist erschreckend.

Mich wundert, warum kein Aufschrei durch die Medienlandschaft geht. War Apple nicht selbstbewusst genug, dass sie eine solch lasche Präsentation hingelegt haben? Wieso höre ich nichts zur Leistung passendes aus den Medien? Das wir uns richtig verstehen: Die Leistung des Chips gegenüber herkömmlichen ist unfassbar gut. Und das hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Zumindest nicht im Consumer-Bereich.

Unverschämt günstig

für Apple-Dimensionen. Es ist das Base-Model, also obenlinks, 8G/256G. Katsching, Herr Lose, Ihr Geld ist nicht weg, es ist nur woanders. Für den Preis 778,85 Euro bekommt man tatsächlich den bislang coolsten Kraftzwerg, den man sich wünschen kann.

Für einige mag da sicher noch Luft nach oben sein, doch für mich reicht die Büchse vollends. Apple hört momentan bei 16GB RAM auf und man kann bis zu 2 TB auf den SOC packen. Geliefert wird dann allerdings nicht jetzt, sondern in den nächsten Wochen.

Und wenn der Leser schon über den Speicher mosern will, 16GB ist auch auf M1 besser als auf Intel. Das Speichermanagement läuft deutlich flotter. Vielleicht auch deshalb, weil die SSD verflucht schnell ist, und das Auslagern besser von der Hand geht.

Was geht denn mit dem Ding?

Nun, meine wichtigsten Tools sind vorneweg MoneyMoney, RoyalTSX, Devonthink. Ohne die könnte ich wohl nicht. Würde eines der Tools weder nativ oder nicht mit Rosetta2 laufen, wäre der Wechsel ein NoGo.

Es scheint aber, als ob viele schon ihre Hausaufgaben gemacht hätten um wenigstens mal mit Rosetta2 zu laufen. Wie z.B. Exactscan, denn Treiber für Dokumentenscanner sind auf Macs Mangelware oder kommen (wie von HP) nur noch mit jeder Menge Bloatware. Exactscan geht. BigSur und M1-Kompatibilität werden auf der Homepage von Exactcode allerdings noch nicht mal „erwähnt“.

Meine ganzen Produktivitätstools sind denn wohl allesamt schon am Start, egal ob die Rosetta 2 (Link) brauchen oder nicht.

Wohl dürften Premiere-Nutzer alles andere als zufrieden sein, denn Adobe hat – mal wieder – nicht rechtzeitig angepasst und die Performance derer Tools aus der Creative Suite ist im Keller.

Ich kann nachvollziehen, dass da einige genervt sind. Allerdings gab’s Hinweise an die Hersteller schon weit vorher und das Developer Transition Kit auch im Juni (Link). Das haben einige intensiv genutzt: DaVinci hatte schon die native ARM-Beta von Resolve 17 draußen, da gab’s den M1 noch nicht mal zu kaufen.

Wider erwarten lässt sich auf dem Ding dann wohl auch zocken, und das für ein so kompaktes Kerlchen doch recht flott. Tomb Raider will gefallen, aber auch Diablo und andere Sachen, wie z.B. Desperados 3.

Selbst Codeweavers Crossover fährt fast alles, was ich noch in x86 benötige, z.B. Lancom’s Konfigurations-Utilities. Und auch das ziemlich flott.

Was mal völlig schräg ist

Einige iOS-Apps lassen sich direkt aus dem Appstore laden und dann auch ausführen. Die Sinnhaftigkeit dieser Kiste erschließt sich mir noch nicht so ganz:

Vielleicht könnt Ihr da einen Anwendungszweck entdecken. Ich finde bislang die Warnwetter-App vom DWD und die DHL-App recht nützlich.

Was wackelt

Adobe: Finger weg von den neuen M1-Macs oder sucht Euch endlich Alternativen. Es gibt davon viel zu viele, Adobe ist längst nicht mehr Standard, weder Lightroom noch Premiere.

Bei DAW’s und Studiohardware wäre ich bislang noch vorsichtig. Ableton will noch nicht (Link). Reaper und Logic laufen zwar, doch wollen Soundkarten meist nicht – ausgenommen jene, welche usb-class-compliant sind, wie z.B. die Focusrite Sarlett-Serie. Da lässt jetzt sich nur nicht mehr das Routing mit deren Software ändern Am 7.12.2020 hatte Focusrite nachgelegt und die wichtigsten Produkte laufen (Link). Jeder einzelne, ersntzunehmende Hersteller gibt inzwischen Kompatibilitätsmeldungen raus.

AVB wäre da der nächste, logische und von Apple seit langer Zeit unterstützte Standard, doch da hat’s bei mir wenig Erfahrungswerte. Wohl ist der typische Schalter in der Netzwerkkonfiguration des M1 gottseidank auch in Big Sur noch da, wo er hingehört.

Ich hab’s allerdings bis heute noch nicht über’s Herz gebracht, so viel Geld für die von mir so ersehnte Motu 624 AVB (Link) zu investieren.

Meine bislang genutzte Focusrite Saffire kommt über TB3->TB2-Dongle und Firewire-Dongle zwar im Mac an, ein Treiber will aber nicht und Focurite hat die Serie eingestellt. Wer also für seinen Intel-Mac noch eine prima klingende Saffire Pro 24 mit einem Thunderbolt 3 auf Thunderbolt 2 Dongle und einen Firewire Dongle haben will – gerne bei mir melden (Impressum).

So muss wohl eher eine Focusrite 8i6 her, welche vorerst nicht konfiguriert aber laut Foren class compliant betrieben werden kann. Für den Übergang. Also provisorisch (als Dauerlösung).

Meine uralte Midi-Klaviatur will im Moment denn auch noch nicht so, wie ich das will. Vielleicht sollte ich dann auch irgendwann mal in etwas aktuelleres investieren.

Homebrew ist noch nicht soweit, ARM zu unterstützen, die Repositories sind noch nicht richtig verknüpft (Link). Alles sicher nur eine Frage der Zeit. MacPorts will hingegen schon fertig sein (Link).

USB

Apple macht ansonsten ein wenig mehr Unfug als notwendig mit USB. Man munkelt, der T2 sei da zwar schon länger schuld dran, also kann ich das nicht direkt auf den M1-Mini zurückführen, aber es ärgert. So will meine Focusrite Scarlet Solo zwar spielen, doch stört sich dann wohl mein Dokumentenscanner (HP Scanjet 3000 S2) dran. Nun höre ich aber gerne Musik, wenn ich Ablage in Devonthink mache…

Nachteile

Und ja, ich wusste schon vorher, dass mangels x86-Emulator auf einem ARM wohl mit klassischen VM’s schlecht Kirschen essen ist. Die notwendigen habe ich schon allesamt auf meinen NUC verbannt, auch die XP-Maschine für Sonic Stage.

Es ist auch sonst nicht alles Gold, was glänzt. Es fehlen wohl 2 Thunderbolt Ports, obwohl ich meine, dass die letzten 4 im Vorgänger wohl ähnlich geteilt waren, wie im Mac Pro, also eine Mogelpackung. Dann ist das hier wenigstens ehrlich.

2 TB-Ports sind aber auch deshalb nicht schön, weil man im Moment wieder eine externe Sonnet-Lösung benötigt, sofern 10G Ethernet z.B. für den Videoschnitt auf Netzwerkspeichern notwendig ist. Ethernet ist mit einem M1 bislang nur in der 1G-Variante erhältlich.

Apple verbaut auch kein 3×3 WiFi sondern nur 2×2. Ferner bringen die die Antenne am wirklich ungünstigsten Ort des kleinen Gehäuses an, nämlich unten drunter (das soll wohl vorher auch so gewesen sein, ich will’s aber erwähnt haben). Sicher, das Ding steht auf Tisch und ist nicht auf irgendeinem Schoß.

Wenn das neue Gen6 WiFi aus ist, dann läuft auch Bluetooth wieder vernünftig. Offenbar interferiert’s hier doch alles irgendwie ein wenig.

Ja, wie isser den jetzt?

Es ist ein wenig so, wie von einem Verbrenner auf ein Tesla Model 3 umzusteigen: Bevor Du überhaupt an’s klicken denkst, „hat er schon fertig“. Das Ding ist „krass“. Eine coole (im wahrsten Sinne) „Drecksau“. Mir gefällt, dass er so wenig Strom verbraucht. Mir gefällt auch, dass ich ihn nicht höre.

Nach dem ersten Start laufen Rosetta2 emulierte Apps – wie z.B. das Office-Paket von Microsoft ähnlich „snappy“ wie alle nativen Apps. Ein kleines, kostenloses Tool „Silicon Info“ hilft, zwischen nativen und emulierten Apps zu unterscheiden:

Bei sehr wenigen Apps sieht man, dass noch viel nachgeholt werden muss – z.B. beim Starface-UCC-Client. Manche Dinge ändern sich aber auch auf dem M1 niemals: Affinity Photo braucht leider immer noch ewig zum Laden, Pixelmator Pro ist dafür sofort startklar.

Knackpunkte sind im Moment Audiointerfaces und Virtualisierung. Focusrite, Motu, RME und so viele andere hatten allerdings schon immer Schwierigkeiten, in die neuen Betriebssystemversionen von Apple zu integrieren. Bei Virtualisierung sieht es nicht besser aus. Entwickler sind wohl jetzt schon in der Lage, auch problemlos ARM-Gäste bereitzustellen (Link), bis daraus aber ein z.B. jahrelang gereiftes VMware Fusion wird, braucht’s wohl noch eine Weile.

So wahnsinnig gut der neue M1 ist, macht mich das auch richtig sauer. Es offenbart die gewaltigen Schwächen von Intel erneut. Erst die ganzen Sicherheitsprobleme und dann zeigen erst AMD und jetzt Apple an, wie schwach die Leistung dieser veralteten, völlig überteuerten und absolut ineffizienten Chips ist. Würde heute jeder einen M1 statt einem Intel-Chip nutzen, könnten wir mit Sicherheit auf einige Kohlekraftwerke verzichten.

Es fühlt sich auch so an, gewaltig verschaukelt worden zu sein. Ganz so, als ob ich die ganzen, letzten 10 Jahre einfach viel zu viel Geld für Computer ausgegeben habe. Das hat schon was von Volkswagen. Der bittere Intel-Nachgeschmack bleibt.

Apple hat jetzt das Produkt in seiner kompletten Vertikale. Diese Macht hat sonst so kein Hersteller. Ich weiß im Moment noch nicht so genau, was ich davon halten soll. Das hier war übrigens „nur“ der erste Wurf. Apple hat – meinen Informationen nach – im Moment CPU’s in der Planung, welche die Performance-Kernanzahl zunächst verdoppeln soll. In weiterer Ferne sollen Chips mit 32 Kernen geplant sein. Letzteres wären theoretisch/grob überschlagen die 4-Fache Leistung eines M1. Von Intel hab‘ ich da schon gar nicht mehr gesprochen. Die sind jetzt eh raus. Ich habe die Sorge, dass Apple jetzt das komplette Programm durchziehen wird. Möglicherweise können da einige nicht mithalten.

Nicht nur für den ersten Wurf ist das System phänomenal gut. Es gibt nur wenige Konstruktionsschwächen. M1 und Big Sur (wer auch immer sich diesen Namen für OS11 ausgedacht hat) harmonieren perfekt.

Wann hat jemals eine völlig neue CPU (das komplette Package) und ein völlig neues Betriebssystem – quasi aus dem Stand – so gut funktioniert wie jetzt? Das ist m.E. bislang einmalig.

Schon der kleinste M1 überzeugt vollends. Ich brauche nicht mehr, als das Basismodell.