„Man, I’d die for havin‘ a girlfriend with those boobs!“ #socialmedia und seine Abgründe

– Diese Meinung enthält möglicherweise verstörende Elemente –

Als allererstes: Danke, lieber Gott, dass es mir gut geht. Es gibt eine Menge Dinge, über die ich unerhört meckere, aber alles in allem geht es mir wirklich gut. Ökonomisch und physisch. Sicher, körperlich sind ein paar „Verbesserungsmaßnahmen“ möglicherweise drin, aber alles hält sich im Rahmen (finde ich). Es gibt aber Dinge, die fallen deutlich aus dem Rahmen. Und das sind Dinge, die ich mit Sicherheit nicht gutheißen kann und will. Es ist etwas, was mich aufregt.

Anmerkung: Ich bin mir vollends der Tatsache bewusst, dass es absolut unmöglich ist, in irgendeiner Form einmal eine Outremer45 zu besitzen, wenn ich „alt“ bin. Zugegeben, ich würde möglicherweise alles dafür geben, aber es geht eben nicht. Nicht mit meinem Gehalt. Es ist technisch nicht drin. Nicht in der kurzen Zeit auf diesem Planeten, die mir noch bleibt. Die Welt ist deswegen aber nicht „scheiße“. Und diejenigen, die eine Outremer besitzen, beneide ich nicht, sondern ich freue mich für sie. Und deswegen darf ich dieses Schiff immer noch schön finden. 

In einem Café irgendwo in meiner Nähe sitzen zwei englische Jugendliche. Ich schätze sie auf ca. 14-15 und beide trinken eine Cola. Beide sind in ihren iPhones versunken. Eine Unterhaltung, die in etwa folgendermaßen abläuft:

1: „Gosh! Uuhm!“
2: „Whats‘ up, Dave?“
1: „I mean, look at her!“
2: „Who’s that?“
1: „Tanner Fox‘ new girlfriend“
2: „Man, I’d die for havin‘ a girlfriend with those boobs!“

Große Augen.

Ich kann’s mir jetzt gerade nicht verkneifen und schlage nach. Auf meinem iPhone. Wer ist dieser Typ? Dieser Youtube-Star hat 5 Millionen Abonnenten. Er sieht so aus, als ob der pubertierende Typ noch nichtmal 18 Lenze erreicht hat. Offensichtlich ist dieser Mensch ein Vorbild. Was zum Geier nochmal hat der für diesen Planeten geleistet außer Strom zu verbrauchen, um seine – mit Verlaub – selten dämlichen Videos hochzuladen? Hat er sich in irgendeiner Form für andere eingesetzt? Was hat er für die Gesellschaft getan? Sicher, meine Schublade ist da. Die nehme ich jetzt mal, ohne was über Tanner Fox zu wissen. Exakt diese Person wird – offenbar – an der Größe der Hupen seiner mit Verlaub äußerst gut trainierten Freundin gemessen. An der Subinformation „new“ störe ich mich ebenfalls, wie an einer Besitzbekundung. Ich frage mich im Moment auch, wer das ganze Plastik bezahlt hat. Ihre Eltern? Und ich frage mich, wie lange dieses Mädchen im Gym war, anstatt ihre offensichtliche Kindheit zu genießen.

Ich denke weiter nach. Ein solch frontlastiger Katamaran wäre mit Sicherheit nicht bluewater-tauglich und würde unmittelbar sinken, bevor er Gibraltar erreicht. Nun, es gibt offenbar Menschen, denen das gefällt. Der Besitzerin der beiden Dinger offenbar auch. Verstehen wir uns nicht falsch, ich mag Hupen. Unheimlich sogar. Es gibt mit Sicherheit auch bedeutende Gründe, warum man Form und Größe nachhilft. Aber es würde mir nicht im Traum einfallen, einen Erdenbürger – als Mensch – ausschließlich über dessen technische Ausstattung oder sogar dessen Einbau-Zubehör zu bewerten.

Es gibt sie aber, diese Youtube-Stars und diese Instagram-Models. Die sehen auf Ihren Bildern tatsächlich super aus. Diese Bilder sind für einen Großteil der Menschen offenbar eine Zielmarke. Sie identifizieren sich damit. Sie kaufen das, was die Typen auf ihren Smartphones präsentieren. Sie versuchen, in der gleichen Kette einzukaufen, in dasselbe Studio zu gehen, dieselben Pflegeprodukte zu kaufen und – noch schlimmer – sie versuchen, sich in der absolut gleichen Art und Weise zu präsentieren. Aber: Sie sind nicht echt. Ein Blick in die „Freundesliste“ eines Abonnenten offenbart:

Alle Mädels sehen absolut gleich aus. Sie tragen den gleichen Kleister im Gesicht, haben den gleichen Haarschnitt, den gleichen Ausschnitt und ein- und denselben Schmollmund, wenn sie sich im Spiegel fotografieren. 

Ja, #WTF? Wir sind Menschen. Wir sind nicht alle gleich. Deswegen sind wir so spannend. Wir haben alle unterschiedliche genetische Baupläne. Das ist Natur. Wie kann man nur eine Bindung zu so einer uniformen Person aufbauen? Dieser Mensch mag vermeintlich gut aussehen, aber er ist deswegen noch lange nicht schön im eigentlichen Sinne! Anmerken möchte ich: Keiner von Euch hat auch nur irgendeine Ahnung, wie lange es dauert, bis man die Belichtung für so ein Foto hinbekommt, wie viel Arbeit in Lightroom steckt, oder wie viel Arbeit in FinalCut drin ist, bis das Video exakt so aussieht. Verdammt nochmal, das ist nicht echt! Das ist nicht das echte Leben! Das ist nicht Euer Leben!

Denkt aber ein Großteil dieser Nation. Eine eigene Identität ist offenbar ungewollt. Das ganze macht postpubertär, also bei manchen „Erwachsenen“ offenbar auch nicht halt. Es ist verdammt super, wie Ihr ausseht, alle, aber ich sehe den Menschen hinter diesem Foto oder Video nicht. Ich kenne ihn nicht. Und Ihr seht offenbar auch nicht, dass das eben nicht die Realität ist. Es ist bittere, langweilige, nervende Arbeit, ein Leben zu veröffentlichen, was absolut surreal ist.

Nein, ich habe das Essen, was ich gerade fotografiert habe, nicht gekocht! Es schmeckt aber hervorragend. Ich will, dass Ihr leidet!
HA, HA!

Ich bin – mit Verlaub – so glücklich, so eine erstklassige Schwester zu haben, mit der ich – sofern ich will – über alles reden kann. Sie hat einen moralischen Kompass, an jenem können sich viele eine Scheibe abschneiden. Ich bin so dermaßen glücklich, dass ich Eltern habe, die mir ein Vorbild sind und mir so vieles ermöglicht haben. Aber ich kann verdammt nochmal nix für meine Gene. Und ich kann auch nix für meine Herkunft. Ich bin halt so auf diesen Planeten geplumpst. Hierher. Deswegen kann ich auf eben diese Umstände auch nicht stolz sein. Sicherlich kann ich etwas für meine absolute Maßlosigkeit in Sachen Nahrungsaufnahme, aber damit muss ich selbst klarkommen.

Für manche jedoch bedeutet es Glück oder Unglück, in der Oberflächlichkeit der sozialen Medien mitschwimmen zu können. Sie messen sich daran. Ein Instagram-Filter kann nur auf einem Foto Falten wegmachen. Mein Arsch in der Hose wird deswegen noch lange nicht jünger.

Und ich bin auch nicht Jon Olsson. Ich besitze keinen Aston, und auch keine 10 Luxusschlitten,wie Salomondrin. Ich habe eigentlich gar kein Auto, sondern es gehört meinem Arbeitgeber. Wenn man es genau nimmt, noch nicht mal dem, sondern der Leasingfirma. Mein Geld, sagte man mir damals bei der Bank (zu Goldmann und Abacus-AC1-Zeiten), sei nicht weg – es besäße jetzt nur jemand anders. Nun, mein Sixpack sieht auch deutlich anders aus als selbiges eines Fußballers, der in krimineller Art und Weise Steuern dem doch arg gebeutelten, spanischen Staat vorenthält. Dennoch will die Hälfte aller Doppel-X-Chromosom-Besitzer diesen absolut vergöttern. Ja, verdammt nochmal WARUM? Fickt er deswegen besser? Offensichtlich nicht, wie manch‘ yellow-Pressebeitrag berichtet. Privat ist dessen Benehmen nicht anders als auf dem Platz. Weil ich nicht so aussehe oder weil ich nicht so viel Geld habe, bin ich aber nicht weniger wert! Und auch Du bist es deswegen nicht. Und auch andere sind nicht weniger wert, weil sie weniger besitzen oder aus einem anderen Land kommen.

Leute, kommt mal klar!

Familie ist Glück der Welt. Liebe ist Glück der Welt. Dass es Dir gut geht und Deine Kinder und Du genügend zu Essen bekommen oder dass Du von Deinem Essen etwas abgeben kannst für andere – das ist Glück der Welt. Seid mit dem glücklich, was ihr habt. Schaut auf das, was ihr geleistet habt. Seid stolz darauf. Seid nicht stolz auf Dinge, für die Ihr nichts könnt, wie z.B. in diesem Land geboren zu sein, oder dass der Liebe Gott mit der Verteilung von Intelligenz und Empathie bei Euch eben nicht gespart hat.

Du solltest verdammt nochmal schützen und wertschätzen, was Du hast, wie Du bist, und in welcher Gesellschaft Du bist. Du darfst Dich darüber freuen. Du solltest nicht nach oben blicken. Schau auf Dich.

Socialmedia ist alles andere als die Realität.
Werdet mal wieder Mensch.

Danke!

Hinzugefügt: Das hat nichts mit den bitter-traurigen Nachrichten zu tun, die ich heute erfahren habe.