Daniel Silva’s „Die Cellistin“ ist extrem spannend

Einigen dürfte bekannt sein, dass ich Daniel Silva verehre. Fast jedes einzelne seiner Bücher habe ich – als Hörbuch – quasi am Stück verschlungen. In meinem Kurzurlaub durfte ich sein aktuelles Meisterwerk „Die Cellistin“ genießen.

tl;dr: Silva’s Protagonist „Gabriel Allon“ ist seit mehreren Dekaden und über 20 Werken entweder als Buch oder als Hörbuch an meiner Seite. „Die Cellistin“ ist noch einmal lesenswerter als die fesselnde Serie es ohnehin schon ist.

– Kein Spoiler –

Daniel Silva

Mit Verlaub, es gibt aus meiner Perspektive nur wenige Autoren, welche so gut skizzieren können, wie Daniel Silva. Ein vielleicht ungeliebter Vergleich: „Altmeister“ in Taktik, politischer und militärischer Strategie, z.B. Tom Clancy (welcher mit Command Authority Russland’s Angriff vorausahnte) lässt er mit seinen stets erstklassig recherchierten Fiktionen auch in diesem Thriller weit hinter sich.

Freibleibend, welches Thema gerade von Silva besprochen wird, er präsentiert die Zusammenhänge stets so, dass Fachfremde schnell einsteigen können. Menschen, die das Genre kennen, werden trotzdem nicht gelangweilt. Ferner finde ich immer mal wieder neue Aspekte, bis hin zum sprichwörtlichen „Denkanstoß“ oder – noch deutlicher – den dieses Mal auch notwendigen Zaunpfahl.

Für die Öffentlichkeit restauriert Gabriel Allon in dessen gleichlautender Bücherserie meist fiktive Gemälde, welche immer mal wieder einen prominenten Platz in seinen Geschichten haben, so wie auch die fiktive Gallerie Isherwood Fine Arts. Hinter den Kulissen ist Allon zunächst im Auftrag, später Agent und in aktuellen Thrillern tatsächlich der Leiter des berühmten, israelischen Geheimdienst.

Kommt es dazu, dass man die Schauplätze seiner Bücher persönlich kennt, stimmt (oder stimmte) tatsächlich fast jedes Detail, selbst die Restaurants. Ich will feststellen: Das „Joseph“ in Saint Tropez ist ebenso liebevoll angerissen (Moskau-Komplott/Moscow Rules), wie das „Mami Lise“ in Annecy (Das Vermächtnis/The New Girl).

Anderes ist Fiktion: Der Mossad residiert nicht mehr am King Saul Boulevard, dennoch kann ich Silva’s Erzählung so gut folgen, dass ich die Szenen in Tel Aviv und Jerusalem vor meinem inneren Auge sehe, in allen ihren Schattierungen zwischen Gelb und Ocker und in ihrer Trockenheit und Hitze.

Auch sein „Spiel mit Namen“ passt immer. Natürlich erkenne ich in „Das Vermächtnis/The New Girl“ dass mit „Khalid bin Mohammed (KBM)“ jemand portraitiert wird, der uns allen eher unter „Mohammed bin Salman (MBS)“ bekannt ist. Ja, natürlich spielen Jamal Kashoggi oder die Verstrickungen der Familie Sa’ud – wenngleich nicht namentlich erwähnt – eine Rolle.

Fast immer sind seine Erzählungen Analogien zu aktuellen, politischen Entwicklungen, teils auch kriegerischen Auseinandersetzungen. Der ehemalige CNN-Journalist scheint – wie ich – ein glühender Anhänger der Demokratie und guter Restaurants. So lesen sich seine Werke zwischen den Zeilen auch stets als Warnung an seine Leser, die Demokratie zu schützen, es ihm quasi gleichzutun.

Die Cellistin

Im neuen, spannenden, wie sonst auch stets extrem gut recherchierten Titel „Die Cellistin“ spielt neben Allon eine Bankangestellte im Risk-Management die Hauptrolle. Deren Bank – wie üblich anders betitelt – ist meine Hausbank. Und natürlich ist deren Rolle exakt jene, welche man erwartet.

Auch in der aktuellen Fiktion beschreibt er real existierende Zusammenhänge und baut stets gut belegte Beispiele in seine Handlungsstränge ein. Kernpunkte sind dieses Mal der erdrückende Kampf mit Russlands Kleptokratie, die Gruppe Wagner, russische Finanzströme und die Verwicklungen des Westens, sowie (natürlich) Wladimir Wladimirowitsch, welcher sich ganz selbstverständlich jeden Menschen kaufen kann. Und ganz selbstverständlich fallen – ab und an – irgendwelche Oligarchen, wie auch im realen Leben, per Zufall aus dem Fenster.

Weniger gut weg als von ihm gewollt kommt die in die Rolle der „Anna Rolfe“ geschlüpfte, real existierende Violinistin „Janine Jansen“ aus den Niederlanden, wie er in seinen Anmerkungen zum Roman schreibt. Und diese Anmerkungen sind es auch, welche auch den letzten Zaunpfahl mitgeben:
So spielt – namentlich unerwähnt aber handlungsrelevant und stets präsent – der 45. Präsident der vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle.

So will Silva zwischen den Zeilen belegen, wie brandgefährlich die aktuelle Spaltung der erodierenden, demokratischen Gesellschaft und auch wie extrem nützlich für Putin westliche, politische, „rechtskonservative“ Parteien sind.

In seinem Buch tatsächlich namentlich erwähnt sind u.a. A*D, der Front National, Viktor Orban oder eben auch der aktuelle Zustand der republikanischen Partei in den Vereinigten Staaten. Mit Geld lässt sich eben alles kaufen, z.B. die gefährlichen Filterblasen der Nazi-/Anon-/Querdenker-Szenen, deren Abgrenzungen verschwimmen.

Ich bezweifle zwar, dass es mit diesem Buch möglich sein könnte, jemanden in diesen Filterblasen zu erreichen. Vielleicht aber erreicht Silva Menschen, die besser überzeugen können denn ich und hinterlässt bei ihnen einen hilfreichen Denkanstoß.

Sehr wohl sind es nicht nur die tatsächlichen Handlungsstränge, sondern – und ganz besonders – die so wichtigen Zwischentöne von Daniel Silva, welche dieses Buch in meinen Augen ganz besonders lesenswert machen.

– Es ist die verdiente, längst überfällige Ohrfeige und Silva’s Bitte an uns, endlich aufzuwachen –

Mitgewirkt haben in der deutschen Fassung natürlich Wulf Bergner, welcher in seiner Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch Silva’s lebendige Sprache mitgenommen hat, und Peter Bieringer. Der liest – wie immer – fesselnd, fehlerfrei und klar verständlich.

Während Tom Clancy’s Fokus mit Jack Ryan u.a. Militärstrategie ist, Vince Flynn mit Mitch Rapp der klassische Action-Holzhammer mit recht hohem Politintriganzanteil ist, will ein Buch von Silva noch fesselnder, noch spannender und gerade so genau geschrieben sein, dass es themenfremde schnell fängt und dem Genre tiefer verbundene immer noch in den Bann zieht. Es ist wie ein gutes Filet Mignon: Auf den Punkt.

Das ungekürzte Hörbuch von Harper Audio mit – wie üblich – knapp 12 Stunden Laufzeit ist für EUR 14,00, das Taschenbuch mit rd. 450 Seiten für EUR 16,00 und das eBook für rd. EUR 11,00 seit Juli 2022, u.a. bei Thalia zu erwerben.

Sicher will ich empfehlen, alle Bücher aus der Allon-Serie zuvor zu hören oder zu lesen, sehr wohl liest sich dieses Buch auch prima ohne die vorhergehenden Thriller. Spätestens nach diesem Buch werden Sie die anderen nachholen.

Mehr über Daniel Silva:

Website (Link)
Auflistung seiner Werke (Link)

Ich habe keinen finanziellen Vorteil durch diese Besprechung, das Hörbuch wurde aus eigenen Mitteln erworben, Sie haben meine persönliche Meinung gelesen.

Titelbild: John Lose